Vortrag von Herrn Johannes Pflug

SOCIETÄT DUISBURG e.V., 27. Februar 2022

Unser Neujahrsempfang ist schon wieder der Pandemie zum Opfer gefallen, aber aufgescho­ben ist nicht aufgehoben. Als wir den vorgesehenen Referenten vor zehn Tagen fragten, ob er kurzfristig für heute zur Verfügung stehen könnte, antwortete er mit einem schlichten „Ja“. Überdies kam man schnell überein, das Thema doch abzuwandeln und auf die sich zuspitzende Lage in der Ukraine einzugehen. Aber wer hätte ernsthaft angenommen, dass drei Tage vor unserer Veranstaltung der Krieg dort ausbricht und Putin mit seinen Soldaten einmarschiert?

Der Vorsitzende eröffnet mit nachdenklichen Worten zum Einfall des größten in das zweitgrößte Land Europas. Dieser Überfall ist strategisch vorbereitet, es gibt viele Parallelen mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen. Aber wie können wir uns wieder aus dieser schrecklichen Lage – ein Krieg in Europa – befreien?

Hierzu wird uns unser heutiger Referent, Herr Johannes Pflug, mit seinen profunden Kenntnissen aus seiner langwährenden Arbeit in den Auswärtigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages die verzwickte Situation beleuchten. Wie konnte es soweit kommen? Was tragen wir selbst zur Entwicklung der Lage bei? Wie können wir helfen, diese Krise jetzt zu überwinden und für die Zukunft gewappnet zu sein?

Die zeitliche Abfolge ist heute verändert, es kommt erst der Vortrag und dann das Essen. Herr Hobohm hat sich auch wieder spezielle Speisen – natürlich wie immer passend zum Thema – einfallen lassen:

  • Zur Begrüßung gibt’s einen Vodka mit Heringshäppchen,
  • anschließend eine Soljanka (Suppe) mit Zitrone, Schmand und Kümmelbrot,
  • als Hauptgang ein Filet „Stroganoff“ mit Kartoffelstampf und Weißkohl in Rahm und
  • als Nachspeise Wareniki und Syrniki (Gefüllte Teigtaschen & Quarkpfannkuchen) mit Zimtapfel, Honig und Schmand … und alles wird serviert!

Frau Ilse Neuber hat darüber hinaus jedem noch eine kleine, flüssige Wegzehrung (gegen die Kälte) an den Platz legen lassen und der Vorsitzende wurde kurzfristig vor der Veranstaltung beauftragt, für jeden Tisch noch das ukrainische Wappentier, die Nachtigall, erscheinen zu lassen – er zog sich mit einer Origami Arbeit aus der Affäre.

Herr Johannes Pflug schildert zunächst seine Erfahrungen, die er sowohl im Bergbaugebiet im Donezk oder aber auf den Maidan sammeln konnte. Dabei hat er zahlreiche ukrainische Politiker kennengelernt. Sein Interesse an der Ukraine wurde insbesondere durch die Okkupation der Krim angefacht.

Er blickt zurück bis zum Ende des 1. Weltkrieges, da gehörte die Ukraine zum Zarenreich, anschließend gehörte sie zu den vier Gründungsmitgliedern der UdSSR. Die Krim gehörte da noch zu Russland, erst 1954 schenkte Chruschtschow sie der Ukraine, weil diese einen Landzugang zur Halbinsel hatte. Ab dem Frühjahr 1990 zerfiel die Sowjetunion insbesondere durch die Unabhängigkeitserklärungen der baltischen aber auch der Südkaukasus Staaten. Gorbatschow versuchte sich dem Verfall mit dem GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) Vertrag entgegenzustemmen, aber da brach schon die Zeit von Jelzin an. 1991 stimmte die Ukraine mit über 92% gegen einen GUS Beitritt. In der gleichen Zeit separierte Russland Teile von Georgien (Abchasien, Adcharien, Südossetien), in Moldawien Transnistrien, unterstützte Armenien im Krieg um Bergkarabach und führte einen brutalen Krieg gegen Tschetschenien.

Außenpolitisch spiegelte sich die politische und wirtschaftliche Schwäche schon bei der deutschen Wiedervereinigung wider. Der 10 Punkte Plan Helmut Kohls überraschte – wie auch andere europäische Führer – Gorbatschow und Schewardnadse stark. Aber die Zusicherung, die NATO nicht nach Osten weiter auszudehnen, beruhigte zunächst, zumal auch James Baker, damaliger US-Außenminister dem nicht widersprach. Allerdings sah das später George W. Bush, der von den Falken Rumsfeld und Wolfowitz beraten wurde, ganz anders: Wir machen keine derartige Zusage, das russische System ist unterlegen, wir regeln das mit Geld. Es folgte die erste NATO-Osterweiterung mit Polen, Tschechien und Ungarn, gefolgt von der zweiten 2004 mit Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Jetzt haben sich nicht nur ehemalige Sattelitenstaaten unter den NATO-Schirm begeben, sondern nun auch ehemalige Sowjetrepubliken. Dies war sicher ein großer Fehler, die Amerikaner schert das nicht, die Europäer – insbesondere Deutschland – bevorzugten eine NATO-Partnerschaft, haben sich aber mit ihrer Meinung nicht durchsetzen können, Russland protestiert, ohne sich Gehör verschaffen zu können.

Aber wie sah es in der Ukraine aus? Genau wie auch in Russland begann man mit der Privatisie­rung der Wirtschaft, die große Zeit der Oligarchen brach an, sie begannen sich Vermögen anzueignen mit Bestechung, mit gut organisierten Banden die die mit brutaler Härte die Ziele der Oligarchen durchsetzten. Jede freie Wahl wurde von den Oligarchen beeinflusst, selbst bei der letzten Wahl wurde der spätere Gewinner Selenskij von Firtasch (Düngemittel, Gasgesellschaften) unterstützt.

Bei den ersten Präsidenten-Wahlen siegten Personen, die allesamt dem alten KPdSU Kader entstammten. Als Höhepunkt stellt sich die Orange Revolution dar; das Ergebnis der demokrati­schen Wahl wurde von beiden Seiten angezweifelt und im Jahr 2014 geht es nicht um einen formalen Machtwechsel. Es wurde ein grundlegender Systemwechsel angestrebt – mit über 100 Toten nach den Massenprotesten. Als Russland die Krim besetzte, unterstützten die Amerika­ner die Ukraine auch militärisch, ausdrücklich gegen den europäischen Rat. Es kam noch besser: Die wichtigste Europaberaterin Obamas, Nuland, sollte die aufgebrachten Europäer beschwichtigen, aber sie heizte die Dissonanz noch an im Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine: „Fuck the EU“, Europa hatte keinen Plan, waren uneins, brachten nur ihren Protest zum Ausdruck = Blanke Tatenlosigkeit. Das konnte Putin nur ermutigen, er unterstützte aktiv die Separatisten im Donezk und Lugansk, auf der Krim ließ er sein Militär ohne Hoheitszeichen einmarschieren. Und Putin ließ die Lage in der Ukraine immer weiter eskalieren, bereitete den Krieg akribisch ideologisch, politisch und militärisch vor. Mit brutaler Gewalt geht Putins Armee gegen die ukrainische Bevölkerung vor, zerstört alles, militärische Einrichtungen wie auch Krankenhäuser und Schulen.

Russland ist von der Welt isoliert, die Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 25. Februar 2022 verurteilt das Russlands Krieg auf schärfste, scheiterte aber am Veto Russlands. 11 Mitglieder stimmten dafür, China, Indien, VAR enthielten sich.

Johannes Pflug gibt auch noch einen Ausblick, wie sich die Situation in Russland und in der Ukraine entwickeln wird. Sehr unheilvolle Vorahnungen, die sich niemand wünscht aber dennoch eintreten können. Wir können (und müssen) uns hier mit der Ukraine in jeder Hinsicht solidarisieren.

Ein mit Fakten und intimen, politischen Kenntnissen hoch angereicherter Vortrag endet. Zahlreiche Fragen werden von Johannes Pflug auch noch ausführlich beantwortet.

Ein hochinteressanter Nachmittag, der mit einer Vielzahl von Details zu Russlands Krieg in der Ukraine aufwartete, geht zu Ende.

(Text: Dr. Ralf Tempel, Fotos: Dr. Michael Greeske & Dr. Ralf Tempel)