Die Zeit um 1900 war eine besondere, aufregende Zeit für uns Europäer. Wirtschaftlich ging es durch die Industrialisierung stetig voran. Das hatte positive und negative Folgen. Es gab aber auch in der Kunst ein neues Zeitalter mit Jugendstil und Art Deco. Musiker, Literaten und Maler interpretierten ihre Arbeiten neu. Diese wurden inspiriert durch viele neue Eindrücke manche durch besondere Menschen. Eine dieser Musen war Alma Mahler-Werfel. Eine Frau im Zwiespalt der Betrachtungsweise. Gefährtin genialer Künstler und /oder geniale Selbstdarstellerin? Frau Monika Schollin wird heute etwas Licht ins Dunkle bringen.
Apropos Dunkel, die Tage werden kürzer und kühler, wir haben unseren Kamin wieder angefeuert, es entsteht die bekannte, anheimelnde Atmosphäre, die es vielleicht auch braucht, sich in das Leben eines anderen besser hineinzufühlen.
Die Mitglieder und Gäste werden durch den Vorsitzenden auf das herzlichste begrüßt. Er freut sich, dass man wieder zahlreich der Einladung des Veranstaltungswarts schon eine Woche nach der letzten Zusammenkunft (Kartoffel!) gefolgt ist, zeigt es doch das hohe Interesse an den Vorträgen / gemeinsame Treffen der Societät.
Als wir platzgenommen haben, lässt es sich unser Gastronom nicht nehmen, das heutige Menü selbst vorzustellen. Es ist aber auch nicht einfach österreichische Spezialitäten unfallfrei auszusprechen und gleichzeitig deren wahre Natur zu erkennen, so u.a.: Ochsensattel an Kren, Carpaccio vom Kalbszüngerl mit Ribisl, Pataten-Eierschwammerltorte, faschierte Kräuterlaibchen oder Vorarlberger Lumpasalot. Als Hauptgang Tafelspitz bzw. frisch gebratenen Fogosch und hinterher als ein weiterer Höhepunkt: Kaiserschmarrn!
Aber nun kommen wir langsam zum zweiten Teil des Abends, den Vortrag. Frau Monika Schollin wird ordentlich vorgestellt, dabei kommt auch Ihre Herkunft aus einer bekannten Duisserner Familie zur Sprache: Schlegtendal. Ihre Vorfahren waren allesamt Mitglieder der Societät – u.a. war Gottfried Schlegtendal Bürgermeister der Stadt Duisburg von 1851 bis 1863.
Frau Schollin springt dann direkt in das Thema: Alma = Gefährtin genialer Künstler und /oder geniale Selbstdarstellerin? Jedenfalls war sie eine der umstrittensten Figuren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für die einen war sie die große Dame mit großer Ausstrahlung, für andere ein Monstrum, eine Egomanin, die ihr eigenes Profil im Dunstkreis bekannter Genies sucht.
Früh kam sie in ihrem Elternhaus mit großen Künstlern in Berührung und sehr früh zeigte sich ihr Hang zu Macht über andere zu erlangen und diese dann zu erniedrigen.
Mit 17 bemühte sich der Maler Gustav Klimt um sie, mit dem Komponisten Alexander von Zemlinsky hatte sie eine Beziehung, die auf ihrer Bewunderung für den Komponisten und seiner Anerkennung ihrer Begabung, der Musik, basierte.
Gustav Mahler war sofort fasziniert von ihr – dabei waren beide sehr unterschiedlich, Mahler zeigte kein Verständnis für ihre kompositorischen Ambitionen. 1901 entschied Alma Schindler sich, den 19 Jahre älteren Komponisten und Wiener Operndirektor Gustav Mahler zu heiraten, aber damit hörten ihre eigenen Arbeiten zur Komposition auf. Zwei Töchter und später ein Sohn erblickten das Licht der Welt, ihre Empathie hielt sich hier in Grenzen. Das Ehepaar sah sich mit einem steigenden Berg von Schulden konfrontiert, trotz der enormen Arbeitsleistung Mahlers ging es nur langsam voran, Alma vereinsamte und ging kleine Flirts / Liebschaften ein.
Krach an Mahlers Arbeitsplatz führte zur Übersiedlung nach New York, er formte das „New York Philharmonic Orchestra“, was mit sehr viel Arbeit verbunden war und zur weiteren Entfremdung der Eheleute führte. Alma begann zu trinken und nahm immer mehr die Gestalt einer Walküre an. Eine Kur in Tobelbad, einem kleinen, in Mode gekommenen Kurort in der Steiermark, sollte sie auf bessere Gedanken bringen, hier lernte sie Walter Gropius kennen. Es stürzte ihre Ehe in eine Krise und Mahler wurde empfohlen, Sigmund Freud aufzusuchen, der ihn auch empfing. Freuds Diagnose: Alma liebe ihren Vater, sie sucht nach solchem Typus, Mahlers Alter ist gerade das, was sie anzieht, Gustav wiederum liebe seine Mutter und suche diesen Typus der vergrämten und leidenden Mutter, dass wolle er auch unbewusst von seiner Frau. Mahler begann sich nun intensiv um die Zuneigung seiner Frau zu bemühen. Er widmete ihr seine 8. Sinfonie. Aber bald darauf, schwer erkrankt, verstarb Gustav Mahler. In Wien war Alma dank der Witwenpension und des Erbes Mahlers eine wohlhabende Frau mit beträchtlichem Vermögen und heftig umworben. Sie war verzweifelt, gewöhnte sich aber schnell an die neue Freiheit, mit 32 Jahren hatte sie ein großes Bedürfnis für Anerkennung und Befriedigung.
Die Affäre mit Oskar Kokoschka dauerte drei Jahre, im Rückblick sah Alma es als dreijährigen Liebeskampf: „Niemals zuvor habe ich so viel Krampf, so viel Hölle, so viel Paradies gekostet“. Kokoschkas größtes Problem war seine Eifersucht auf andere Männer und auf den toten Mahler. Aber in dieser Zeit entstanden Kokoschkas wichtigste Bilder.
Alma taktierte zwischen Gropius und Kokoschka. Antisemitische Züge nahmen immer mehr Besitz von ihr, aber die alte Liebe zu Gropius flammte wieder auf. Auch andere Größen der Zeit standen auf der Matte, wie Gerhard Hauptmann, Hans Fitzner oder Siegfried Ochs. Was Walter Gropius bewog, Alma zu heiraten, verstand niemand, aber ihre Tochter Manon kam zur Welt.
In Almas Salon in Wien trafen sich Komponisten, Maler, Wissenschaftler und Politiker. Bei der 38-jährigen fand sich auch der elf Jahre jüngere Franz Werfel ein, sie verliebten sich sofort ineinander. Zunächst blieb Alma bei Gropius, aber auch Kokoschka war nicht weit …
Schließlich war die Ehe doch am Ende, Gropius nahm alle Schuld auf sich, obwohl das Verhältnis zwischen Werfel und Alma bekannt war. Im Berlin der 20er Jahre betörte sie ihre Gäste in Restaurants mit ihrer Vitalität – Essen und Trinken, also „raffinierte, komplizierte und sichtlich teure Speisen und vor allem reichlich schwere Getränke“ waren die Basis, um Menschen an sich zu binden.
Alma kaufte ein Palazzo in Venedig, versuchte den Nachlass von Mahler besser zu vermarkten und Werfels Romane bekannter zu machen, letzterer war ihrer Herrschsucht nicht gewachsen.
Sie tröstete sich immer häufiger mit Alkohol, heirate kurz vor ihrem 50sten Geburtstag noch Franz Werfel – bald hatte man sich aber nichts mehr zu sagen. Sie hielt Hof in ihrem Wiener „Palast“ (Salon), zu dem wieder Politiker, Künstler und Wissenschaftler kamen, ein Besucher berichtete irritiert über die sexuell aufgeladene Atmosphäre im Hause Mahler-Werfel: „Sex war das Hauptgesprächsthema, und meistens wurden lärmend die sexuellen Gewohnheiten von Freunden und Feinden analysiert“.
Alma demütigte Werfel, allein ihm fehlte die Kraft sie zu verlassen. Die Judenverfolgung trieb sie durch halb Europa, schließlich gelang die Flucht nach Amerika. Sie gingen, wie andere, nach Los Angeles. Mit dem schriftstellerischen Erfolg verbesserte sich die finanzielle Lage, es ermöglichte dem Ehepaar, in Beverly Hills eine komfortablere Villa zu erwerben. Aber bald darauf starb auch Werfel, ihr Leben wurde immer stiller und zurückgezogener.
Sie lebte extensiv – ihre vulkanartige Wirkung auf Menschen war legendär. Ihr Leben – das war vor allem ihre Begeisterungsfähigkeit für alles Künstlerische. Sie war die Muse großer Künstler, die selber nicht (sein) konnte.
(Text: Dr. Ralf Tempel, Fotos: Dr. Michael Greeske)