Einen spannenden Abend verspricht die vorliegende Einladung. Herr Dr. Hippler, ein besonderer Kenner Pakistans – hat eine Zeitlang dort gelebt und gearbeitet, wird uns aufklären. Es geht um eine Weltgegend, die von sowohl offen als auch verdeckt ausgetragenen Konflikten nur so strotzt: Pakistan. Es wird von chronischer Instabilität geplagt mit starken, ethnisch-religiösen Unruhen.
Nach außen sichtbar ist der „ewige“ Streit mit seinem Nachbarn Indien (beides seit den 90er Jahren Atommächte) um die Region Kaschmir, einem Hochgebirgsraum des vorderen Himalayas, man überzieht sich gegenseitig mit Androhungen von Krieg, lässt aber auch gern verdeckt Untergrundkämpfer rekrutieren und vor Ort agieren. Dann gibt es auch noch die lange Grenze zu Afghanistan mit den Verstecken und die Unterstützung für Taliban-Kämpfer auf der einen und der Kooperation mit den Amerikanern auf der anderen Seite. Und als wäre das nicht genug, gibt es immer wieder große Naturkatastrophen, wie im letzten Sommer der außergewöhnlich starke Monsunregen mit großflächigen Überschwemmungen im Süden.
Wer jetzt denkt, es wird eine „normale“ Abendveranstaltung mit Essen und Vortrag im Großen Saal, sieht sich getäuscht, angenehm enttäuscht. Der Vorsitzende bittet zum Cocktail-Empfang nach draußen auf die Terrasse unter den großen Sonnensegeln. Es ist herrliches Sommerwetter und warum sollten wir nicht das Essen und den Vortrag im Freien genießen?
Unser Gastronom, Herr Klaus Hobohm, hat sich des Themas umfassend angenommen: Er serviert am Tisch, allerdings wie es im mittleren Osten Brauch ist: Es gibt fast alles gleichzeitig in kleinen Schalen präsentiert. Jeder kann nehmen nach was und wie viel es ihm gelüstet. Und es ist orientalisch abgeschmeckt! Allein die Vorspeisen lassen die Zunge nur so schnalzen: Mezze, Orientalischer Linsensalat, Honigkarotten arabisch, Falafel, Hühnerpfännchen an Minz-Joghurt, Auberginen-Curry, Meerrettich-Lachs und ofenfrische Pita. Viele sind hier bereits überwältigt, aber mit den Hauptgerichten setzt Herr Hobohm noch einen drauf: Hähnchen Tandoori mit glasierten Balsamico-Zwiebeln & Reis und Saibling mit mild-saurem Linsengemüse & Schmörkes. Ein Gedicht!
Dazu gibt es entsprechende „Musikalische Liturgien aus dem pakistanischen Punjab“, große Sonnensegel halten die drückende Sonne ab, wir schauen zwischendurch auf das umgebende Grün und fühlen uns in Ort und Zeit versetzt.
Aber irgendwann wird es Zeit für den zweiten Teil des Abends. Es wird aber kein Vortrag, es ist eher eine Erzählung. Und wieder werden wir in Raum und Zeit versetzt. Herrn Dr. Jochen Hipplers Darlegungen beziehen sich auf die Frage, warum ist Pakistan politisch so instabil und wie sieht es dort mit der Religion / dem Islam aus?
Ja, es gibt Islamismus und auch Terrorismus und ja, es gibt verschiedene politisch und kulturell-religiöse Faktoren für die Instabilität in Pakistan. Ausgangspunkt war im August 1947 das Ende der britischen Kolonialherrschaft und die Teilung des indischen Subkontinents in die unabhängigen Staaten Indien und West- und Ost-Pakistan (später Pakistan und Bangladesch). Während Indien hauptsächlich Hindus beheimatete, war Pakistan nun die Heimat der Muslime.
Wie es überhaupt zu einer Eskalation zwischen zwei Religionsgruppen kommen konnte, hing mit der britischen Wahrnehmung der südasiatischen Gesellschaften zusammen. Die Kolonialbürokratie hatte sie auf Religionsgruppen reduziert. Unter Hindus verstanden die Briten alle, die nicht Christ, Jude, Buddhist oder Muslim waren. So entstand allmählich ein mehr oder weniger homogener „Hinduismus“ in Indien. In Pakistan fand sich dann der Rest. Doch es gab keinen Islamismus in reiner Ausprägung. Es gab nun einen säkularen Staat für Muslime, aber ohne geeinten Glauben. Pakistani haben eher ein seltsames Verhältnis zum Islam, welcher hier ein unislamisches, lokales Gebilde ist. Heilige stehen im Mittelpunkt, sie legen ein gutes Wort bei Gott ein, helfen in jeder Notsituation, lösen alle Probleme auch mit nicht-islamischer Handhabung. Das ist der Kern der weit verbreiteten Volksfrömmigkeit. Der Islamismus kam mit Sufi-ideologischer Offenheit. Es gibt keine Mullahs (Richter) sondern die Sufi-Kultur, die besteht in Sozialarbeit, Medizin, Psychotherapie und v.a.m. Es ist der Ursprung des Islam in Pakistan.
Es entstand ein säkular, nicht unbedingt demokratisch, geführtes Land. Bis 1970 gab es keine Wahlen, dafür ständige Regierungswechsel und manchmal putschte die Armee. Die bestehenden Parteien waren eher ein Club einer Familie, alle sind miteinander verknüpft und in der Regel Großgrundbesitzer. Bei den Generälen ist die ideologische Ausrichtung von weltlich bis geistlich, ganz wie die Situation es erfordert. Korruption blüht unter allen Regierungen, jeder kann danach auch dieser angeklagt und inhaftiert werden. Keine günstige Voraussetzung für Stabilität, weder für Gesellschaft noch Wirtschaft. Diese Polarisierung besteht bis heute fort, es ermöglicht auch dem Militär, immer wieder einzugreifen. Allerdings wollen die Militärs auch nicht ewig herrschen, denn dann könnten die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme ja ihnen angelastet werden. Das will niemand!
Aber der globale Islam ist auch in Pakistan auf dem Vormarsch, kommend aus der Armut in Verbindung mit Korruption. Herr Hippler beschreibt eine Situation: Eine Straße wird gesperrt von jungen Menschen, die die Einführung der Scharia fordern. Auf die Entgegnung von ihm, sie hätten doch schon ein Rechtssystem, wozu noch ein zusätzliches und in Teilen grausameres dazu stellen? Die jungen Menschen antworten, was nützt das vorhandene Gesetz, wenn man sich mit einem Grundbesitzer oder Verwandten eines Regierungsmitgliedes streitet und in keinem Fall Recht bekommt? Dann lieber ein schlechtes Gesetz, vor dem alle gleich sind – das bietet die Scharia!
Ein Exkurs durch die aktuelle Lage der Gesellschaft in Pakistan mit unheimlich tiefen Eindrücken in die Befindlichkeiten der Moslem, die doch ganz anders sind als die in den weiter westlich gelegenen Gottesstaaten
Wir nehmen es Herrn Hippler ab, dass er auch gut und gern acht Stunden so weitererzählen könne, deshalb brechen wir hier ab und bedanken uns überschwänglich. Die Fragen, die jetzt noch kommen, werden genauso ruhig und detailliert beantwortet, wie zuvor.
(Text: Dr. Ralf Tempel und Fotos: Dr. Michael Greeske, Jutta Schwarz & Dr. Ralf Tempel)