Vortrag von Herrn Hans-Jürgen Reitzig, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK zu Duisburg a.D.

In den Räumen der SOCIETÄT DUISBURG e.V., 6. November 2014

Schon im Vorfeld erhielten wir viel Zustimmung für das Aufgreifen des Themas in der Societät. Das rege Interesse spiegelt sich auch bei den Teilnehmern der Veranstaltung wieder – lange schon waren wir nicht mehr so zahlreich zusammengekommen.
Natürlich gehört zu so einer Veranstaltung auch ein ordentlicher Rahmen, es ist die Zeit für unser traditionelles Grünkohlessen, wobei die Eingeweihten wissen, dass nicht nur Grünkohl gereicht wird. Familie Borgards hat wieder aufs Trefflichste die Räumlichkeiten hergerichtet; die Tische sind fein eingedeckt, der Blumenschmuck ist eine Augenweide und der lodernde Kamin sorgt für Behaglichkeit. Und kulinarisch werden alle Register gezogen: Geräuchertes Makrelenfilet auf Rührei, Norwegischer Räucherlachs an Sahnemeerrettich, Roastbeef gelegt an Remoulade, Riesengarnelen auf Rucolasalat, u.v.a. Vorspeisen mehr. Der Hauptgang hielt Grünkohl „Bürgerlich“, Mettwurst, gegrilltes Kasseler, Kohlwurst, Hirschbraten an Preiselbeeren-Sahnesauce und Wildlachs im grünen Mantel bereit, alles an verschiedensten Salaten hergerichtet. Den i-Punkt setzen die Bratäpfel mit Marzipan, Rosinen & Calvados.
Unser heutiger Referent ist Hans-Jürgen Reitzig, ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Wirtschaftsfachmann; so war er u.a. Hauptgeschäftsführer des wirtschaftspolitischen Spitzenverbandes der Baustoffindustrie, er leitete – ebenfalls als Hauptgeschäftsführer – die Niederrheinische IHK zu Duisburg. Seit 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der Universitäts-Gesellschaft und ebenfalls Präsident der Duisburger „Gesellschaft Casino” (diese ist nun auch schon 156 Jahre alt – wir begehen heute unseren 240sten Jahrestag!).
Ab 2005 begann seine zweite berufliche Karriere: Einmal als Lehrbeauftragter für Betriebswirtschaft an der chinesischen Universität Taian, nahe Qingdao (eine aus der Kolonialzeit deutsch geprägte Metropole) und zum anderen seit zwei Jahren als Berater der Regierung von Brunei; er hilft dort, technische Ausbildung nach deutschem Modell einzuführen.
Das alles sind Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abend. Herr Reitzig seziert im ersten Teil seines Vortags die heutige Energiewende. Im Grunde genommen besteht sie aus zwei Hauptpunkten: Die Stilllegung von Atomkraftwerken und den Neubau von riesigen Stromtrassen. Beides provoziert Widerstand. Sieht man sich unsere Struktur der Stromerzeugung an, erkennt man sehr leicht, dass das Wort „Wende“ etwas hochgegriffen ist – vielmehr wird sich die Struktur der Stromerzeugung etwas verschieben. 2013 betrugen die Anteile der verschiedenen Energieträger am Strom-Mix: AKW 15%, Erneuerbare Energien 25% (das meiste durch Windkraft und Biogas), Braunkohle 25%, Steinkohle 20% und Erdgas 10%. Bei der Energiewende geht es also letztendlich um das Abschalten eines 10%-Anteils an Strom, erzeugt durch AKW – darüber wird in Deutschland diskutiert!
Die Verlagerung dieses Stromanteils auf erneuerbare Energien (EE) hat Auswirkungen: Einspeisungsvorrang für EE und Staatsgarantien für Einspeisungstarife auf 20 Jahre (was der Kunde, also wir, als Quasi-Sondersteuer auf Stromverbrauch (6,2 EUR-Cent/kWh – 20 Mrd. EUR/a) bezahlen)!
Ist der zweite Punkt schon recht ärgerlich, so ist es der erstere nicht minder: Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen ist volatil; dies macht flexible Stromspeicher-Kapazitäten erforderlich. Es gibt aber keine effiziente und ausreichende Möglichkeit für eine Zwischenspeicherung des erzeugten Stroms. Kraftwerke auf Knopfdruck hoch und runter zu fahren, ist mit den bisherigen Braun- und Steinkohlekraftwerken (unserem Strom-Rückgrat) nicht möglich. Bei Gaskraftwerken scheint das schon eher erreichbar, allerdings müssten diese neu geplant und gebaut werden. Aber auch die Kapazitäten an verfügbarem Erdgas sind nicht unendlich, die Förderung von Schiefergas kann eine Alternative darstellen.
Beim Schiefergas wird von einem Vorkommen von 1.300 Mrd. m³ in Deutschland ausgegangen, das würde den gesamten deutschen Energiebedarf der nächsten 13 Jahre decken! Die Amerikaner haben selber noch Vorräte, die für die nächsten 26 Jahre ihren Energiebedarf decken würden; die USA ist wieder zu einem Gas-Exporteur aufgestiegen, was auch Folgen auf die Preise am Rohölmarkt hat. Das bemerken wir gerade auch an den Tankstellen; trotz Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten, zahlen wir für Benzin so wenig wie seit Jahren nicht mehr.
Erdgas aus konventionellen Quellen nimmt im Laufe der Förderung immer mehr ab, so wurde schon in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Methode ersonnen, den letzten Rest Gas auch noch zu fördern. Das Gas sitzt in Gesteinsporen, ist dort aber nicht entstanden, sondern von seiner ursprünglichen Lagerstätte aus hin gewandert. Da diese Poren relativ groß sind, braucht es meist nur eine Stimulation, z.B. großen Druck, um sie zu öffnen. In den unkonventionellen Lagerstätten, um deren Ausbeutung es künftig gehen soll, steckt das Erdgas aber im Muttergestein, wo es entstanden ist. Es ist in extrem kleinen Poren gefangen und deshalb schwierig zu fördern. Ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien wird unter hohem Druck ins Gestein gepresst. Dazu wird nicht nur vertikal, sondern auch horizontal gebohrt, um größere und dünnere erdgasführende Schichten zu erschließen. Das Ganze nennt sich Fracking, ein Kunstwort, zusammengezogen aus „Hydraulic Fracturing“. Sinkende Kosten und steigende Energiepreise machen es wirtschaftlich.
Diese Methode muss wenigstens wissenschaftlich untersucht und optimiert werden. Deutschland sollte daran aktiv teilnehmen, um bei eintretender Notwendigkeit diese Technologie zur Verfügung zu haben.
Fazit:

  • Atomausstieg ist politisch unumkehrbar!! (Das deutsche Energiesystem ist nicht autark, es ist in europäische Netze eingebunden.)
  • Klimaschutz hat hohe Priorität! (Steinkohle/Braunkohle verlieren weiter an Bedeutung.)
  • Eine sichere Energieversorgung ist auf absehbare Zeit und in steigendem Maße auf Gas angewiesen.
  • Eine Importabhängigkeit bei Gas ist mit politischen Risiken verbunden, welche die Versorgungssicherheit gefährden!

Herr Reitzig hat die Energiesituation in Deutschland und der Welt genau analysiert. Wir sind beeindruckt von der Stringenz seiner Überlegungen und gleichzeitig begeistert, wie souverän und mit welcher Leichtigkeit er wirtschaftliche, politische und Ingenieur-technische Aspekte zueinander in Relation setzen und in einfachen Worten zu Gehör bringen kann.
Diesen Abend werden wir noch lange in Erinnerung behalten.

(Text: Dr. Ralf Tempel, Fotos: Roland Stengler)